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Ein neuer Standard für neue Zeiten – Die 'Pariser Bibel' Cod. 2

Handschrift des Monats Februar 2024
Datum:
1. Feb. 2024
Von:
Dr. Harald Horst
Mit dem Aufkommen der Universitäten ab dem 12. Jahrhundert stellte sich, wie schon vier Jahrhunderte zuvor, das Problem der Einheit der theologischen Lehre. Und wieder sollte ein standardisierter Bibeltext Abhilfe schaffen: Mit frischem Layout, neuer Schrift und kostbaren Illuminationen wirkt die ‚Pariser Bibel‘ bis in heutige Bibelausgaben weiter.
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Die Kolumne folgt weiter den numerisch aufsteigenden Signaturen der Dom-Handschriften und widmet sich im Februar erneut einer Vollbibel, Cod. 2 aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Viel war geschehen in den vier Jahrhunderten seit der ersten großangelegten Produktion von Bibelhandschriften im Skriptorium von Tours, aus dem Cod. 1 stammte (vgl. Handschrift des Monats Januar 2024). Vor allem wurden die Universitäten „erfunden“ – eine Gemeinschaft von Lehrenden und Schülern zur Pflege und Entwicklung der Wissenschaften. Nach der Universität von Bologna (gegründet 1088), die als Zentrum der Rechtswissenschaften von sich reden machte, wurde seit 1150 die Universität von Paris zur wichtigsten Lehrstätte der Theologie ausgebaut. Päpstliche Privilegien sorgten dafür, dass in Paris die offizielle kirchliche Lehre unterrichtet und bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts ein entsprechendes Curriculum festgelegt wurde (fol. 4r).

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Nicht zuletzt aus dem Erfordernis einer einheitlichen Lehre resultierte auch das Bemühen um eine verbindliche Fassung der lateinischen Bibel. Denn die Vulgata, erstmals im 4. Jahrhundert von Hieronymus aus dem Griechischen und Hebräischen übersetzt, hatte sich in zahlreichen und teilweise fehlerhaften Varianten verbreitet. Wie schon in Tours lagen die Bemühungen der Pariser Theologen nun also auf der Schaffung einer einbändigen, sprachlich und inhaltlich standardisierten Fassung, die als Grundlage weiterer Abschriften dienen sollte – die ‚Biblia Parisiensis‘. Bis heute folgen Bibeln etwa der Kapiteleinteilung des Stephen Langton (†1228), die die Zählung des Hieronymus ablöste (fol. 2r). Auch die von Hieronymus abweichende Reihenfolge der alttestamentlichen Bücher und ihre Aufteilung in geschichtliche, weisheitliche und prophetische Schriften geht auf den Pariser Standard zurück. Die im Vergleich zu Tours wesentlich kleineren Pariser Bibeln wurden in der Regel von Berufsschreibern hergestellt, die dafür sogar eine eigene Schrift entwickelten, die sogenannte Perlschrift. Als eines der Musterexemplare gilt der ‚Codex Sorbonicus‘ der Pariser Nationalbibliothek (Ms. lat. 16260).

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So folgt auch der in Paris hergestellte Cod. 2 weitgehend den Vorbildern: dünnes Pergament und zweispaltiges Layout, jedoch mit kleiner Textualis formata statt Perlschrift. Bei einer Größe von knapp 35 x 25 cm ließ sich so der gesamte Bibeltext auf 340 Blättern unterbringen. Entsprechend sparsam ging man mit schmückenden Elementen um: Ganzseitige Miniaturen oder Schriftzierseiten fehlen, stattdessen sind die Buchanfänge durch ornamentale oder historisierte Initialen gekennzeichnet. Dass auch deren Ausführung je nach Geldbörse des Auftraggebers unterschiedlich ausfallen konnte, zeigt das Kölner Exemplar Cod. 2: Von den gut 80 größeren Initialen sind 59 mit glänzend poliertem Blattgold versehen, 53 davon enthalten figürliche bzw. historisierte Darstellungen (fol. 149ar). Rote und blaue Rankeninitialen mit Fleuronnée gestalten zudem neue Absätze oder Verse. „Mit sicherem Federstrich vorgetragen, bilden sie oft grafische Kleinkunstwerke von Rang“, schreibt bewundernd der ehemalige Kustos der Domschatzkammer Walter Schulten (1980). Jede Kolumne wird von blau-rotem Randschmuck begleitet, der in Fadenranken bis weit in die Ränder hinein ausläuft.

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Die historisierten Goldinitialen, die in Deckfarbenmalerei den Bibeltext darstellen oder ausdeuten, sind einen eigenen Blick wert. Zum Teil folgen die Darstellungen überlieferten Bildkonventionen, zum Teil unterliegen sie jedoch auch zeitgenössischen Neuerungen. Exemplarisch sei hier die P-Initiale am Beginn des vierten (heute zweiten) Buchs der Könige herausgegriffen (fol. 94v): Die dort geschilderte Entrückung des Propheten Elija in einem feurigen Wagen mit feurigen Pferden findet sich als Sujet in fast jeder illustrierten Bibel, da die Szene in typologischer Auslegung auf die Himmelfahrt Christi hin gedeutet wurde. In Cod. 2 wird der Feuerwagen jedoch nicht von Pferden gezogen, sondern von Engeln gehalten – eine Neuerung, die wohl das himmlische Eingreifen stärker betonen sollte.

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Interessant sind auch Architekturdarstellungen etwa von Gewölbebögen: Es finden sich sowohl romanische Rundbögen als auch die zeitgenössischen gotischen Spitzbögen. Gut zu erkennen ist dies etwa beim Vergleich der Darstellung von Moses und Gottvater zu Beginn des Buchs Levitikus (fol. 28r) mit der Marienkrönung, die das Hohelied einleitet (fol. 173v): Romanische Arkaden stehen hier spitzbogigen Dreipässen als Symbol für den himmlischen Palast gegenüber. Solche Stilmittel wurden in der Malerei gerne eingesetzt, um etwa Geschehnisse aus dem Alten Bund von solchen des Neuen Bundes auch bildlich zu unterscheiden.

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Im Gegensatz zu vielen anderen Handschriften lässt sich die Besitzgeschichte von Cod. 2 recht gut nachvollziehen. Auf fol. 1r findet sich mittig die notarielle Beglaubigung, dass der Codex durch den Kölner Bürger Johannes Gurdelmecher an den Domkanoniker Moritz von Spiegelbergh verkauft worden sei. Zwar fehlt das genaue Datum, doch muss dieser Kauf vor dem 3. Juni 1483, dem Todestag Spiegelberghs, erfolgt sein. Gurdelmecher dürfte kaum der Vorbesitzer, eher ein Buchhändler gewesen sein, da er auch in anderen Büchern als Verkäufer genannt wird. Spiegelbergh hingegen, der aus dem Bistum Hildesheim stammte und neben dem Kölner Domkanonikat auch die Stelle eines Propstes in Emmerich bekleidete, tat sich als Humanist und gebildeter Büchersammler hervor. Von ihm wird hier noch öfter die Rede sein, da er einige Handschriften dem Kölner Domkapitel vermachte, in dessen Bibliothek sich heute noch drei davon befinden – darunter diese prachtvolle Pariser Bibelhandschrift, die schon zum Zeitpunkt ihres Verkaufs eine über 100 Jahre alte Kostbarkeit gewesen sein muss.