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Neue Handschriften nach alter Tradition – Missale und Kanon für Kardinal Frings (Cod. 1554 und 1555)

Handschrift des Monats April 2024
Datum:
1. Apr. 2024
Von:
Dr. Harald Horst
Wenn es noch keine Messbücher im Großdruck gibt, muss man sich welche schreiben lassen: Zwei Handschriften aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts greifen die Traditionen monastischer Skriptorien des Mittelalters auf und werden in Verbindung mit moderner Kunst zu einzigartigen Zeitzeugen vorkonziliarer Liturgie.
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Was macht ein Bischof, dessen Sehkraft langsam nachlässt, der aber dennoch weiterhin die festlichen Liturgien in seiner Kathedralkirche feiern möchte? Heutzutage gibt es für solche Fälle liturgische Bücher in Großdruck-Ausgaben. Vor gut 70 Jahren standen diese allerdings noch nicht zur Verfügung. Als Kardinal Josef Frings (1887-1978) im Laufe des Jahres 1957 bedingt durch eine Erkrankung an Grünem Star immer schlechter sehen konnte, verfiel man daher auf eine andere Lösung: Das Erzbistum Köln ließ liturgische Bücher für den Kardinal nach alter Tradition in einem klösterlichen Skriptorium schreiben. Der Benediktinermönch P. Mauritius Mittler (1921-2013) von der Abtei St. Michael in Siegburg hatte für seine Gemeinschaft bereits zwei Choralbücher geschrieben. Jetzt bekam er den Auftrag, ein Missale Romanum für die Pontifikalmessen (Cod. 1555, hier S. 137) sowie ein Buch mit den feststehenden Teilen der Messe, dem Canon missae (Cod. 1554), in großer und gut lesbarer Schrift zu schreiben.

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Es war nicht ungewöhnlich, dass in Klöstern auch nach der Verbreitung des Buchdrucks noch handschriftlich Texte und Gesänge abgeschrieben wurden. Zu groß waren in der Frühen Neuzeit noch die liturgischen Besonderheiten in den einzelnen Konventen, um sie durch Drucke in kleinen, unrentablen Auflagen zu erfassen. Außerdem wurde in vielen Orden weiterhin das betrachtende Element geschätzt, das mit dem Schreiben von Büchern einherging. Besonders der Benediktinerorden hatte hier eine lange Tradition, und so kommt es wohl nicht von ungefähr, dass der junge P. Mauritius zwischen 1950 und 1952 bei dem Künstler Heinrich Müller-Wittgendorf (1923-1994) das kalligraphische Schreiben erlernen durfte. (Cod. 1555, S. 195)

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Die Verbindung zum Erzbistum stellte Prof. Dr. Theodor Schnitzler (1910-1982) her, ein Bonner Liturgiewissenschaftler und bischöflicher Berater, der später durch seine Mitarbeit an der Liturgiereform international bekannt wurde. Auf sein Anraten hin schrieb P. Mauritius „in einer gut leserlichen Schrift […], die der heutigen normalen Druckschrift“ ähnelte, einer Antiqua also mit Buchstaben in 7 mm Höhe. In seinen 1988 verfassten Erinnerungen zur Entstehung der beiden Codices beschreibt P. Mauritius diese Entscheidungen und hält außerdem fest: „Gefordert wurde ein gut lesbarer Text; Verzierungen irgendwelcher Art standen nicht zur Debatte.“ Dennoch hatte er „von vorneherein vor, nicht nur den Text zu schreiben, sondern ihn auch auszuschmücken; die Arbeit sollte mir nämlich auch Freude machen.“ Im Pontifikal-Messbuch markierte er daher den Introitus jeweils mit einer bis zu sechs Zeilen hohen ornamentierten Initiale in einem farbigen Feld, das Evangelium dagegen nur mit einer darauf abgestimmten Ornamentinitiale (Cod. 1555, S. 145, 148). Die Lesungen erhielten kleinere Initialen in einem Feld ohne Ornament, die Gebete und Gesänge jeweils nur einfarbige Initialen.

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Bei den oft eindringlich bunten Aquarellfarben orientierte sich P. Mauritius am Festcharakter der jeweiligen Messe. So soll „das leuchtende Rot-Gelb im österlichen Alleluja auf tiefblauem Grund […] an die Feuer- und Kerzenweihe der Osternacht erinnern. Stumpfe violette und braune Farbtöne beherrschen hingegen Palmsonntag und Karfreitag.“ Auch das Te igitur zum Beginn des Hochgebets im Canon missae (Cod. 1554, S. 192) wird dominiert von zwei überwiegend rot-gelb gemusterten Initialen auf tiefblauem Grund; Buchstaben in Gold verdeutlichen zusätzlich den weihevollen Charakter des Textes. Die gewöhnungsbedürftige Ornamentik der Initialen in beiden Handschriften greift die pragmatisch-reduzierte Formensprache der unmittelbaren Nachkriegszeit auf, wie sie etwa auch in der Architektur dieser Zeit noch sichtbar ist.

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Während das Missale für Kardinal Frings nach einem Jahr Arbeit bereits 1958 fertiggestellt war, folgte bis 1960 das weniger umfangreiche Buch mit dem Messkanon und seinen auf die jeweiligen Feste passenden gesungenen Präfationen. Hier nahm sich P. Mauritius mehr künstlerische Freiheiten, indem er „in die Initialen zu den einzelnen Canongebeten […] in Symbolen de[n] Inhalt der Gebete“ einarbeitete. So erhielt das Gebet für die Stände der Kirche eine „I“-Initiale mit Tiara und Mitra vor ornamentiertem Hintergrund (Cod. 1554, S. 193). Beim Gedächtnis des Alten Bundes umschlingt das „S“ einen Brandopferaltar (S. 207). Besonders interessant ist das „P“ am Beginn der mit „Per quem“ beginnenden großen Doxologie (S. 210): „Der Kreis des P enthält die Sternbilder, den Zodiakus; in den Außenecken des Feldes die Farben Blau, Grün, Rot und Gelb – Symbole für Wasser, Erde, Feuer und Luft, die vier Elemente. Im Mittelpunkt die Erde, die von den gleichen Farben umgeben ist, die aber diesmal auf die vier Jahreszeiten hinweisen, wobei zusätzlich der Frühling durch eine Blüte, der Herbst durch eine Traube, der Winter durch den Mond und der Sommer durch die Sonne gekennzeichnet ist.“

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P. Mauritius hatte die Texte jeweils auf hochwertiges Büttenpapier der Firma Zanders (Bergisch Gladbach) geschrieben. Sobald zwei bis drei Lagen vollendet waren, wurden sie nach Köln gebracht, damit Kardinal Frings sie bereits verwenden konnte. Nach Fertigstellung der beiden Werke wurden sie von Johannes Sievers (1931-2021), dem Restaurator der Diözesanbibliothek, in zwei identische Einbände gebunden. Er verwendete – durchaus passend zu den Farben der Mittlerschen Initialmalerei – ein orangerot gefärbtes Ziegenleder, das er mit schwarzen, gold umrandeten Intarsien in Form von Fischen und Kreuzen versah. Durch das kongeniale Zusammenwirken der beiden regional durchaus bekannten und beliebten Künstler entstanden so zwei neue Codices im alten Stil, die als wichtige Zeitzeugen für Kunst und Liturgie der Mitte des 20. Jahrhunderts gelten dürfen. Das Erzbistum hatte P. Mauritius übrigens durchaus angemessen für seine Arbeit entlohnt: Die Abtei konnte sich, so schreibt er in seinen Erinnerungen, von dem Geld die mehr als 60 gedruckten Bände der Acta Sanctorum kaufen, die der Klosterbibliothek bis dahin gefehlt hatten.

Digitalisate der beiden Handschriften und weitergehende Informationen können jederzeit über die Digitalen Sammlungen der Diözesanbibliothek abgerufen werden: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-16642 (Cod. 1554) und https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-16638 (Cod. 1555).

 

Abbildungen:

Cod. 1555, S. 137: Die Messe in der Osternacht mit dem dreifachen Alleluja

Cod. 1555, S. 195: Messe am Fest der Reinigung Mariens

Cod. 1555, S. 145 und 148: Introitus und Evangelium zum Fest Christi Himmelfahrt 

Cod. 1554, S. 192: Zierseite zum „Te igitur“ (Beginn des Hochgebets)

Cod. 1554, S. 193, 207, 210: Initialen aus einzelnen Kanongebeten 

Cod. 1555, Vorderdeckel

 

Ansprechpartner:

Herr Dr. Harald Horst
Telefon: 0049 221 1642 3796 

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