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Ein Ritus und seine Visualisierung – Das Totenoffizium in Cod. 244

Handschrift des Monats November 2023
Datum:
1. Nov. 2023
Von:
Dr. Harald Horst
Bei den Klerikern des Mittelalters gab es – wie bei den Laien – Bruderschaften, die regelmäßig für lebende und vor allem verstorbene Angehörige beten sollten. In dieser Handschrift der Kölner Pfarrerbruderschaft zeigt ihr Stifter auf einer Miniatur, wie er sich dereinst sein Begräbnis vorstellte.
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Im Monat November steht auch in dieser Kolumne das Totengedenken im Vordergrund. Zu diesem Zweck hatten sich nämlich in den mittelalterlichen Stadtgesellschaften nicht nur Laienbruderschaften zusammengeschlossen, wie sie in den vergangenen beiden Monaten hier thematisiert wurden. Auch viele Kleriker außerhalb von Klöstern oder Stiften bildeten schon früh solche Gruppen, um regelmäßig für ihre Toten, aber auch für die noch lebenden Angehörigen zu beten. In Köln hatte sich im ausgehenden 12. Jahrhundert eine Priesterbruderschaft der zwölf (später 18) Kölner Pfarrer gebildet, die sich seit dem 14. Jahrhundert als Marienbruderschaft bezeichnete und auch für Laien öffnete. Diese Handschrift, die auf einem beigebundenen Blatt die Darstellung eines Priesterbegräbnisses zeigt (fol. 79r), stammte aus ihrem Besitz; sie kam nach Auflösung der alten Pfarreien während der Säkularisation in die Dombibliothek.

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Ein Stiftungsvermerk auf den letzten beiden Textseiten des eher schmalen Bändchens (fol. 78r-v) beschreibt ausführlich den Zweck dieser Schenkung. Demnach stiftete der Priester Johannes von Deutz alias Deutzerfelde diese und eine weitere, genau gleich gestaltete Handschrift der Bruderschaft der Kölner Pfarrer, damit in ihren Gottesdiensten die Verehrung Mariens würdiger vollzogen werden könne. Dadurch sollten die Lebenden das Wohlwollen der Gottesmutter erlangen und die Verstorbenen auf ihre Fürbitte hin das ewige Leben.

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Johannes von Deutz (de Tuicio) war, das belegt schon die Stiftung von zwei aufwändig gestalteten Handschriften, kein armer oder unbedeutender Kleriker. Er bezog Einkünfte aus dem Kanonikat der Pfarrei Klein St. Martin (das übrigens von den Stiftsdamen von St. Maria im Kapitol vergeben wurde) sowie weiteren Kanonikerstellen und war außerdem Domherr. Er starb im Jahr 1411, so dass die Entstehung der beiden Handschriften (der zweite Codex ist leider verschollen) in die Jahre davor datiert werden kann. Die Schrift in Cod. 244 – eine gotische Textualis formata –, die Malweise der Miniatur wie auch der übrige Buchschmuck (hier fol. 26v) passen zu einer Anfertigung um oder kurz nach 1400. Die Schreiber- und Künstlerwerkstatt kann allerdings nicht genauer als „im Umkreis von Köln“ verortet werden.

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Die Handschrift beginnt mit einem Kyriale, das die Ordinariumsgesänge Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei enthält, gefolgt von verschiedenen Messformularen zu Ehren der Gottesmutter (fol. 7r). Auf fol. 23r beginnt das lange Totenoffizium, auf fol. 66v der Ordo ad sepeliendum sacerdotem, also der Ritus für die eigentliche Begräbnisfeier. Die einzelnen Abschnitte der gottesdienstlichen Feiern sind gegliedert durch rote und blaue Lombarden sowie durch Cadellen in schwarzer Federzeichnung mit roten Akzenten. Mit Fleuronnée verzierte mehrzeilige Initialen in Rot und Blau markieren größere Abschnitte wie etwa den Beginn einer neuen Hore.

Cod-0244_079r (Detail)

Die ganzseitige Darstellung eines Priesterbegräbnisses auf dem letzten Blatt (fol. 79r) ist auf den Innendeckel aufgeklebt. Obwohl Deckel und Einband wesentlich später zu datieren sind als der Buchblock, scheint die Miniatur doch zum ursprünglichen Bestand zu gehören. Sie zeigt den Sarg des Toten, der auf einem Katafalk aufgebahrt und mit einer gemusterten Brokatdecke bedeckt ist. Der Kelch auf dem Sarg ist ein Zeichen dafür, dass es sich bei dem Verstorbenen um einen Priester handelte. Lange, gedrehte Kerzen umrahmen den Katafalk an vier Ecken. Daneben stehen vier Diakone, die in ihren Händen aufgeschlagene Bücher halten und in die vier Himmelsrichtungen schauen. Der Begräbnisritus sieht nämlich vor, dass so die Anfänge der vier Evangelien verlesen werden sollten: Nach Osten wurde das Matthäusevangelium gesprochen, nach Süden das des Markus, nach Norden der Lukasbericht und nach Westen die Worte des Johannesevangeliums. Eine solche Darstellung ist außerhalb von Stundenbüchern sehr selten und zeigt wohl, wie sich der Stifter Johannes von Deutz seine Totenfeier vorstellte.