Was hat eine Klosterreform mit Büchern zu tun? (Bibl. St. Albertus Magnus, MS 29)
Im 15. Jahrhundert besaß das Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg die wohl größte deutschsprachige Klosterbibliothek. Eine eher unscheinbare Handschrift aus diesem Frauenkonvent befindet sich heute in der Bibliothek St. Albertus Magnus in Köln.
Das Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Nürnberg wurde um 1295 durch den wohlhabenden Patrizier Konrad von Neumarkt und seine Ehefrau Adelheid gegründet. Die meisten Schwestern entstammten den Ratsfamilien der Stadt, so dass zahlreiche Stiftungen aus diesen begüterten Kreisen einen raschen Aufbau des neuen Klosters ermöglichten. Bereits 1297 konnte so die Kirche eingeweiht werden. (MS 29, fol. 1r)
Weil die Klosterdisziplin stark nachgelassen hatte, drängte der Magistrat der Stadt Nürnberg auf eine Reform des Konvents, die jedoch erst 1428 unter dem Ordensgeneral Bartholomäus Texery gelang. Er nahm stets Rücksicht auf die individuelle Situation vor Ort und fasste in einem Brief an die Schwestern, in der sogenannten Ordinatio, die Ziele der Reform zusammen. So gab er Anweisungen für die Gebetszeiten, zum Schweigen, zur Beichte, zu Fastenvorschriften sowie zur Tischlesung während der gemeinsamen Mahlzeiten (MS 29, fol. 45r). Die Ordensregel sollte demnach einmal wöchentlich gelesen werden, die Konstitutionen alle zwei Monate, die Ordinatio selbst einmal im Monat. Daneben stand auch anspruchsvolle theologische Literatur auf dem Lektüreplan – Traktate über die Liturgie ebenso wie Predigten und Auslegungen der Bibel.
In Nürnberg führten diese Vorschriften zu einem eindrucksvollen Anwachsen der Handschriftenproduktion. Unter der Leitung einer Buchmeisterin schrieben 16 namentlich bekannte und mindestens 13 anonym gebliebene Nonnen die auf die Bedürfnisse des Klosters ausgerichteten Texte ab. Zusammen mit Schenkungen von Außenstehenden wuchs der Bibliotheksbestand von lediglich 46 Büchern im Jahr 1428 auf mindestens 726 Bände zum Ende des 15. Jahrhunderts an. 565 der heute noch erhaltenen Handschriften sind dabei in deutscher Sprache – meist einem mittelfränkischen Dialekt – geschrieben, so dass der Konvent die größte deutschsprachige Klosterbibliothek des Spätmittelalters besaß. (MS 29, fol. 12r)
Auch die Handschrift MS 29 aus der Bibliothek St. Albertus Magnus ist im Nürnberger Katharinenkloster entstanden. Sie enthält drei deutschsprachige Texte: die Regel des hl. Augustinus für Frauenklöster (fol. 1r–11r), die Konstitutionen für die Dominikanerinnen (fol. 12r–44v) und den schon genannten Brief des Ordensgenerals Texery an die Schwestern in Nürnberg (fol. 45r–50r). Während die Augustinusregel – hier in der Fassung für Frauenklöster – die geistliche Grundlage des dominikanischen Ordenslebens bildet, gestalten Konstitutionen oder Statuten den organisatorischen Rahmen aus. Der Brief des Ordensgenerals ist das stärkste Argument für die Entstehung des Büchleins im Katharinenkloster, da er ja die dortigen Schwestern anspricht. Diese Textzusammenstellung ist zudem noch in zahlreichen weiteren Exemplaren aus Nürnberg erhalten. (MS 29, fol. 13r)
Bis auf rote Zierbuchstaben (Lombarden) und Unterstreichungen enthält das Büchlein keinen Schmuck, es handelt sich also um eine simple Gebrauchshandschrift. Der ebenfalls einfache Einband entspricht dem häufig im Katharinenkloster verwendeten Kopertband. Hierfür wurde ein nicht mehr benötigtes Pergamentblatt als Umschlag verwendet, auf den die Papierblätter mit einem Faden geheftet wurden. (MS 29, Vorderdeckel)
Das Einbandpergament von MS 29 ist außen stark berieben, sodass die Buchstaben dort nur undeutlich zu erkennen sind, während sich innen die ursprüngliche Schrift gut lesen lässt. Vermutlich handelt es sich dabei um Texte aus einem deutschsprachigen Liber ordinarius, einem Buch also, das die Abläufe der liturgischen Feiern des Kirchenjahres im Katharinenkloster regelte. (MS 29, hinterer Innendeckel (gedreht))
Die Handschrift MS 29 aus der Bibliothek St. Albertus Magnus ist noch bis zum 30. Januar 2022 in der Ausstellung „Von Frauenhand. Mittelalterliche Handschriften aus Kölner Sammlungen“ zu sehen, die das Museum Schnütgen in Kooperation mit der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln zeigt: https://museum-schnuetgen.de/Von-Frauenhand-Mittelalterliche-Handschriften-aus-Koelner-Sammlungen. Insgesamt 33 Exponate vom 8. bis zum 16. Jahrhundert verdeutlichen, welch großen Anteil Frauen an der mittelalterlichen Handschriftenproduktion hatten – und dass ihre Werke denen von Männerhand in nichts nachstehen.