Silber für den Schwur des Kaisers – Die Codices 269 und 270 der Dombibliothek
Zwei alte Bücher für Schriftlesungen in der Domliturgie wurden in der Barockzeit mit wertvollen silbernen Deckeln versehen. Der überraschende Grund für den Neueinband erschließt sich schon auf den ersten Seiten.
Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass im Mittelalter sowohl der Papst als auch der Römisch-deutsche König bzw. Kaiser als „geborenes Mitglied“ zum Kölner Domkapitel gehörten. Von den Päpsten hat allerdings erst Johannes Paul II. im Jahr 1980 den eigens für ihn freigehaltenen Platz im Chorgestühl des Kölner Doms eingenommen - mit einem deutlich sichtbaren Lächeln. Anders die deutschen Könige: Für sie gehörte der Amtseid als Kanoniker der Kölner Domkirche regelmäßig zu den Zeremonien rund um ihre Krönung durch den Erzbischof von Köln in Aachen. (Cod. 269, fol. 1v)
Auf der ersten, ursprünglich freien Seite von Cod. 269, dem sogenannten Kaiserevangeliar, wurde diese Eidesformel im 15. Jahrhundert nachgetragen (fol. 1r). Sie besagt, dass der frisch ins Amt eingeführte Kanoniker und neu gewählte König die Kölner Kirche in seinen Schutz nimmt und das Domkapitel in seinen Rechten und Privilegien bestätigt – mit der Hilfe Gottes und des Evangeliums, das er gerade berührt.
Damit ist auch der eigentliche Inhalt des Buches angegeben: Es handelt sich um ein Evangelistar, also eine Abschrift der nach den Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres geordneten Evangelienlesungen. Es stammt bereits aus dem 12. Jahrhundert, ist aber nur spärlich mit wenig meisterlichem Buchschmuck ausgestattet (fol. 140v). Auf freigebliebenen Seiten am Ende der Handschrift wurden noch weitere Eide nachgetragen: Für den Erzbischof, den Dompropst, den Dekan, den Subdekan sowie für die Vikare des Kapitels. Das Evangelistar hat also wohl mehr als Eidbuch des Domkapitels denn als liturgisches Buch Verwendung gefunden.
Seiner – eher weltlichen – Bedeutung gemäß wurde es zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit einem neuen Einband versehen. Der Kölner Goldschmied Johann Franziskus Weißweiler schuf einen aus Silber getriebenen Vorderdeckel, der in einem Medaillon in der Mitte eine Kreuzigungsgruppe mit Jesus, Maria und Johannes zeigt. In den Ecken stellte Weißweiler in vier runden Medaillons die Evangelisten mit ihren Symbolen dar, während er die Zwischenräume mit Bandelwerk, Blättern, Ranken und Rosetten füllte. Rücken und Rückdeckel sind lediglich mit rotem Samt überzogen, der von einem Silberrahmen umfasst wird. (Cod. 269, Vorderdeckel)
Das Gegenstück zu diesem Einband vom gleichen Künstler findet sich auf dem Epistolar Cod. 270, das die Schriftlesungen aus dem Alten Testament, den Paulus- und Apostelbriefen und der Apostelgeschichte enthält. Passend zum Inhalt hat Weißweiler hier im zentralen Medaillon den ersten Sündenfall dargestellt: Vor dem Paradiesbaum stehend erhält Eva einen Apfel von der Schlange und gibt ihn an Adam weiter - gegen Gottes ausdrückliches Verbot. Gemäß kirchlicher Lehre wurde diese Ursünde durch Christus am Kreuz getilgt, so dass sich auf den beiden Deckeln „alter“ und „neuer“ Paradiesbaum typologisch gegenüberstehen. Die kleineren Medaillons von Cod. 270 zeigen die alttestamentlichen Gestalten Abraham, Melchisedech, Aaron und Mose. (Cod. 270, Vorderdeckel)
Das Epistolar stammt wohl aus dem 14. Jahrhundert und ist wie das Evangelistar buchkünstlerisch eher bescheiden ausgestattet. Lediglich rote und blaue Zierinitialen mit wenig ornamentalem Schmuck markieren die Anfänge der Lesungen (fol. 19r). Die Pergamentblätter sind massiv geschädigt, so dass sich die Schrift über lange Passagen hinweg kaum mehr lesen lässt.