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In der Nachfolge des Johannes von Valkenburg - Graduale für ein Dominikanerkloster (Cod. 1173)

Handschrift des Monats Mai 2022
Datum:
1. Mai 2022
Von:
Dr. Harald Horst
Bevor die Kölner Klarissen den Stil des Johannes von Valkenburg weiterentwickelten, versuchten sich andere Buchkünstler an seiner Nachfolge. Das Graduale für ein Dominikanerkloster zeigte um 1320 gleich zwei Wege dafür auf.
Cod-1173_015r

Ein Graduale enthält die in der hl. Messe verwendeten Gregorianischen Gesänge. Deren Texte bleiben zum Teil immer gleich (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei), währende andere je nach Anlass wechseln (Introitus, Graduale, Alleluia, Offertorium, Communio). Aufgrund des beträchtlichen Umfangs solcher Chorbücher war eine jahreszeitliche Aufteilung der Bände üblich. Bei Cod. 1173 der Diözesanbibliothek Köln handelt es sich um einen Band für das kirchliche Sommerhalbjahr (pars aestivalis), der mit Ostern beginnt (fol. 15r) und mit dem letzten Sonntag des Kirchenjahres im November endet. Auch der Abschnitt mit den Heiligenfesten erstreckt sich entsprechend lediglich von Mariä Verkündigung (25.3., fol. 100v) bis zur hl. Katharina von Alexandrien (25.11., fol. 142v).

Cod-1173_036r

Zahlreiche Festtage sind mit historisierten Initialen geschmückt, so zum Beispiel das Fest der Himmelfahrt Christi mit einer für sich sprechenden Darstellung (fol. 36r). Gotische Architekturmotive umrahmen diese und alle anderen Szenen zusätzlich zu den Silhouetten der Initialbuchstaben. Von diesen gehen jeweils Zierleisten am linken Blattrand aus, die an ihrem Ende zwei- oder dreiteilige Spiralrankenknoten mit gezackten Profilen entwickeln. Daraus wiederum wachsen kurze Ranken hervor, die mit stilisierten Wein- oder Dreiblättern besetzt sind und in die Kopf- und Fußstege der Seiten ausgreifen. Nach der Mode der Zeit bevölkern zahlreiche Drôlerien in Gestalt von Fabelwesen die Ranken.

Cod-1173_114r

Die Gestaltung des Buchschmucks führt einerseits Elemente weiter, die das Graduale des Johannes von Valkenburg (Cod. 1001b) benutzte. Darin vereinte er französische, englische und maasländische Stilelemente zu einem grandiosen Ensemble (vgl. Handschrift des Monats Januar 2022). Unterschiede lassen sich jedoch in der Rankengestaltung wie auch in der Zeichnung der Figuren erkennen: Cod. 1173 zeigt hier meist überlängte, überaus zart erscheinende Gestalten, erkennbar etwa bei Maria und Elisabeth am Fest der Geburt Johannes des Täufers (fol. 114r). 

Cod-1173_040v

Andererseits sind die Figuren etwa beim Pfingstwunder eher rundlich-gedrungen dargestellt (fol. 40v). Dies lässt auf einen weiteren Künstler schließen, der an der Ausstattung des Graduale beteiligt war, ohne sich eng am Stil des Johannes von Valkenburg zu orientieren. Die Entstehung der Handschrift wird dennoch in dessen Nachfolge um etwa 1320 vermutet.

Cod-1173_106v

Die Handschrift enthält einige Hinweise darauf, dass sie für das Dominikanerkloster Hl. Kreuz in Köln hergestellt wurde. So sind die Feste des hl. Dominikus (Todestag, Reliquientranslation) durch Miniaturen besonders hervorgehoben, ebenso das Fest der Auffindung des hl. Kreuzes durch die Kaiserin Helena (fol. 106v). Eine Partikel dieses Kreuzes soll dem Kölner Kloster 1256 geschenkt worden sein, als Albertus Magnus dort unter anderem als Lehrer wirkte.

Cod-1173_125r

Eher selten zu finden ist die Darstellung der Entrückung des hl. Dominikus in den Himmel (fol. 125r). Gemäß einer Erzählung in der Legenda aurea soll der Prior des Dominikanerkonvents von Brescia zur Todesstunde des Ordensgründers einen Traum gehabt haben. Darin sah er, wie Jesus und Maria zwei weiße Leitern aus dem Himmel herabließen, um den mit verhülltem Haupt auf einem Thron sitzenden Dominikus daran hinaufzuziehen. Die Szene ist in der Initiale wohl aus Platzgründen etwas freier interpretiert.