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Die Antiphonare Cod. 263 und Cod. 1149

Handschrift des Monats Juni 2021
Datum:
1. Juni 2021
Von:
Dr. Harald Horst
Das gesungene Stundengebet der Domherren: Die Antiphonare Cod. 263 und Cod. 1149

Die beiden Offiziums-Antiphonare enthalten die Gesänge für das Stundengebet im Kölner Dom. Sie stammen aus dem 14. Jahrhundert, das Fronleichnamsfest wurde aber erst am Ende des 15. Jahrhunderts nachgetragen. Warum das so war, lesen Sie hier!

Initiale „Q“ zum Fest der hll. Petrus und Paulus (29.6.)

Die Überlieferung mittelalterlicher Handschriften geht manchmal seltsame Wege. So besaß das Kölner Domstift, also die Gemeinschaft der Domkapitulare, zwei große, nahezu identische Bücher mit den Gesängen für das Chorgebet außerhalb der hl. Messe, sogenannte Antiphonare. Während das eine (Cod. 263, hier fol. 77v) nun irgendwann nicht mehr gebraucht und in der Dombibliothek verstaut wurde, gelangte das andere (Cod. 1149) in den Besitz des Kanonikerstifts St. Maria ad Gradus. Dieses wesentlich kleinere, aber kaum weniger prominente Stift lag östlich des Domchores, etwa zwischen dem heutigen Domherrenfriedhof und dem Museum Ludwig. Es wurde 1802 aufgelöst und bald danach abgerissen. Sein Buchbesitz wurde weitgehend zerstreut, doch kamen einige Exemplare in die Bibliothek des Kölner Priesterseminars, die den Grundstock der heutigen Diözesanbibliothek bildet. Als im Jahr 1930 die Dombibliothek organisatorisch mit der Diözesanbibliothek vereinigt wurde, fanden auch die beiden Zwillingsbände aus dem Domstift wieder zusammen – und erhielten nun endlich die ihnen gebührende Aufmerksamkeit der kunsthistorischen und liturgiegeschichtlichen Forschung.

Initiale „D“ zum Pfingstfest

Stilistische Ähnlichkeiten ließen erkennen, dass beide Bände offenbar im gleichen Skriptorium angefertigt worden waren. Außerdem stimmen sie nicht nur in Inhalt und Bildprogramm, sondern sogar noch in späteren Ergänzungen weitgehend überein. Die beiden Antiphonare umfassen den Sommerteil des Kirchenjahres, also die Zeit von Pfingsten (hier Cod. 1149, fol. 4v) bis zum 25. Sonntag nach Trinitatis – die dazugehörigen Winterbände müssen im Dom vorhanden gewesen sein, sind aber bislang nicht nachgewiesen. Dass sie überhaupt für den Kölner Dom angefertigt wurden, ergibt sich unter anderem aus der Platzierung des Kirchweihfestes: Dessen Gesänge stehen zwischen dem Fest des hl. Mauritius (22.9.) und dem des Erzengels Michael (29.9.), zielen also auf die Domweihe am 27. September.

Initiale „I“ zum Kirchweihfest (Kölner Dom: 27.9.)

In Cod. 263 ist das Hochfest der Kirchweihe durch eine historisierte Initiale „I“ hervorgehoben, die den Traum Jakobs von der Himmelsleiter illustriert (fol. 168v). Dieses Motiv stammt eigentlich aus den Gradualien, den Chorbüchern mit Gesängen zur hl. Messe, und es ist hier auch nicht am Beginn des Festes (mit der 1. Vesper) positioniert, sondern beim ersten Responsorium der ersten Nokturn. Dies ist ein Beleg dafür, dass die Buchmaler in der Gestaltung des Bildprogramms von Antiphonaren etwas freier waren als bei den Gradualien.

Initiale „S“ zum Allerheiligenfest (1.11.)

Aus ähnlichem Grund findet sich abweichend in Cod. 1149 eine Hervorhebung des Allerheiligenfestes durch die Initiale „S“ mit einem lehrenden Christus (fol. 201r).

Drôlerien am Seitenende beim Dreifaltigkeitsfest

Von den illuminierten Initialen gehen am Rand jeweils Zierstäbe mit stark stilisierten Ranken aus, die von Drôlerien – kleinen lustigen Darstellungen mit Fabelwesen – bevölkert werden: Neben zweibeinigen Drachen finden sich dort Katzen, Affen, Vögel und einmal auch ein spielender Hund (Cod. 1149, fol. 14v). Während die spitzenbesetzten Ranken und Drôlerien ein Vorbild im Graduale des Johannes von Valkenburg (Cod. 1001b) haben, ist die Initialmalerei eher dem französisch-flämischen Stil des sogenannten Bibelmeisters verwandt, der um 1310 eine Bibel für die Abtei Groß St. Martin ausmalte (heute in Düsseldorf, ULB, Ms. A 5). Diese Datierung gilt daher auch für die beiden Antiphonare.

Zierinitiale „S“ aus dem 15. Jahrhundert zum Fronleichnamsfest

Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts wurden beide Handschriften jedoch überarbeitet, vermutlich im Kölner Chorherrenkloster Herrenleichnam. Dabei wurden Gesänge für einige neue Festtage nachgetragen – aber auch für das bereits im 13. Jahrhundert etablierte Fronleichnamsfest. Das „Festum Sanctissimi Corporis et Sanguinis Christi“ wurde aufgrund der Visionen der sel. Juliana von Lüttich erstmals 1246 in Lüttich begangen und 1264 von Papst Urban IV. für die Gesamtkirche angeordnet. Vermutlich im selben Jahr fand an St. Gereon in Köln auch die erste Fronleichnamsprozession statt, in der das Allerheiligste in einer Monstranz sichtbar durch die Straßen getragen wurde. Am Dom ist das Fest erst für 1318 belegt, was die Notwendigkeit der Ergänzungen in den beiden Antiphonaren erklärt. Der Schmuck der Nachträge ist jedoch wesentlich bescheidener als im ursprünglichen Bestand: Die Zierinitialen (hier Cod. 1149, fol. 272r) bestehen hier aus blauen Buchstaben mit blattförmigen Pergamentaussparungen; Binnenfeld und Rahmung zeigen ebenfalls Blattstrukturen in roter Federzeichnung, die in Eierstäben und filigranen Fäden am Blattrand ausläuft.

Das Antiphonar Cod. 263 wird ab 26. Oktober 2021 in der Ausstellung „Von Frauenhand. Mittelalterliche Handschriften aus Kölner Sammlungen“ zu sehen sein, die das Museum Schnütgen zusammen mit der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln zeigt: https://museum-schnuetgen.de/Von-Frauenhand-Mittelalterliche-Handschriften-aus-Koelner-Sammlungen.

Digitalisate der beiden Handschriften und weitergehende Informationen können jederzeit über die Digitalen Sammlungen der Diözesanbibliothek abgerufen werden: https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-3599 (Cod. 263) bzw. https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-3768 (Cod. 1149).

 
Abbildungen:

Cod. 263, 77v Initiale „Q“ zum Fest der hll. Petrus und Paulus (29.6.)

Cod. 1149, 4v Initiale „D“ zum Pfingstfest

Cod. 263, 168v Initiale „I“ zum Kirchweihfest (Kölner Dom: 27.9.)

Cod. 1149, 201r Initiale „S“ zum Allerheiligenfest (1.11.)

Cod. 1149, 14v Drôlerien am Seitenende beim Dreifaltigkeitsfest

Cod. 1149, 272r Zierinitiale „S“ aus dem 15. Jahrhundert zum Fronleichnamsfest

 

Ansprechpartner:

Herr Dr. Harald Horst
Telefon: 0049 221 1642 3796 

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