Das vergessene Kloster – Ein Antiphonar für die Zisterzienserinnen von St. Apern (Cod. 1181)
Dass in der Zisterzienserabtei Altenberg noch im 16. Jahrhundert Handschriften illuminiert wurden, stand lange Zeit nicht im Fokus der Forschung. In der Diözesanbibliothek hat sich ein Antiphonar aus dieser Werkstatt erhalten, das wohl für ein inkorporiertes Frauenkloster in Köln bestimmt war. Dieses längst verschwundene Kloster wäre vermutlich ganz vergessen, gäbe es in der Stadt nicht noch eine nach seinem Schutzheiligen benannte Straße.

Kennen Sie den heiligen Aper? Es ist bestimmt keine Bildungslücke, wenn man noch nichts von dem siebten Bischof des lothringischen Städtchens Toul gehört hat, der dort im Jahr 507 gestorben sein soll und dessen Name auf Deutsch mit „Eber“ übersetzt wird. Als Heiliger und Kirchenpatron wird er fast ausschließlich in Lothringen verehrt – und außerdem in Köln, wo heute noch die Sankt-Apern-Straße an ein längst verschwundenes Frauenkloster mit diesem Patrozinium erinnert. Bereits 1169 soll sich an dieser Stelle vor dem alten Ehrentor eine dem hl. Aper geweihte Kapelle befunden haben, mit der später ein Hospiz, eine Pilgerherberge und eine Klause verbunden waren. 1477 machten die Klausnerinnen Platz für die Zisterzienserinnen aus St. Mechtern (Kölnisch für „ad Martyres“), deren vor den Mauern der Stadt gelegenes Kloster im Gefolge der Kölner Stiftsfehde zerstört worden war. Die Nonnen erhielten eine neue, dem hl. Bartholomäus geweihte Kirche sowie einen ansehnlichen Klosterbezirk mit Wirtschaftsgebäuden und sogar einem eigenen Weingarten. Die Leitung und geistliche Betreuung der Zisterzienserinnen lag – und hier wird es für unsere Handschrift des Monats interessant – in den Händen der Zisterziensermönche der Abtei Altenberg. (fol. 2r)

Das im Jahr 1133 mit Unterstützung der Grafen von Berg gegründete Zisterzienserkloster im Tal der Dhünn war in der Forschung lange Zeit nicht als Sitz eines Skriptoriums wahrgenommen worden. Lediglich fünf Chorbücher des 16. Jahrhunderts, die sich heute in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf befinden, konnte man aufgrund von Namens- und Besitzeinträgen einer Altenberger Buchmalerwerkstatt zuweisen. Die 2001 erschienene Dissertation von Elisabeth Hemfort über „Monastische Buchkunst zwischen Mittelalter und Renaissance“ befasste sich ausgiebig mit diesem Skriptorium, seiner Prägung und seinen spezifischen Stilformen (fol. 191v). Nebenbei gelangen der Kunsthistorikerin darin etliche Korrekturen wie auch Neuzuschreibungen zahlreicher illuminierter Handschriften. So konnte sie den hier behandelten Codex 1181 der Kölner Diözesanbibliothek zweifelsfrei als Produkt der Buchmaler und -schreiber der Zisterzienserabtei Altenberg identifizieren.

Bei dem gewichtigen, 53 x 38 cm großen und 346 Blätter umfassenden Chorbuch handelt es sich um den Winterteil eines Antiphonars. Es enthält also die Antiphonen, Responsorien und Hymnen, die in den klösterlichen Gebetsgottesdiensten in der Zeit vom Advent bis zur Karwoche gesungen wurden. Zuletzt wurde in der Handschrift des Monats August 2024 mit Cod. 1521 ein Antiphonar ausgiebig beschrieben – ebenfalls ein Chorbuch für die „winterliche“ Hälfte des Kirchenjahres, das mit zahlreichen farbigen Illuminationen ausgeschmückt ist. Im vorliegenden Cod. 1181 finden sich lediglich sechs in Deckfarben ausgeführte Initialen, die überwiegend mit Blatt- und Rankenwerk in Grün, Rot, Blau oder Gelb sowie mit farbig gestalteten Blüten gefüllt wurden (fol. 191v, s. oben). Ihr Besatz mit unsymmetrischen Fleuronnée-Ausläufern, von denen die oberen diagonal vom Buchstaben ausgehen, während die unteren senkrecht entlang des Textspiegels geführt werden, ist nach Hemfort typisch für das Altenberger Skriptorium und findet sich etwa in der Düsseldorfer Handschrift D 35 wieder. Auch viele weniger aufwändig gestaltete Fleuronnée-Initialen wurden in ähnlicher Weise verziert (fol. 30v, 324v).

Aus dem Repertoire der Illuminationen ragen zwei historisierte Initialen hervor: Zu Beginn des Chorbuchs (fol. 2r, s. oben) wurde das Binnenfeld der A-Initiale in der oberen Hälfte mit der lavierten Zeichnung zweier Turnierkämpfer mit Lanzen verziert, während in der unteren Hälfte ein Löwe und ein Bär um einen Knochen streiten. Ob die untere Szene eine Allegorie auf die obere darstellen und was das Ganze mit dem 1. Adventssonntag zu tun haben soll, bleibt der Fantasie der Betrachtenden überlassen. Inhaltlich mindestens ebenso weit hergeholt ist die Füllung der Initiale „H“ zum Fest Epiphanie (fol. 58v). Umrahmt von zwei Säulen und einer dreibogigen Arkade schweben im Binnenfeld fünf Medaillons mit den Wunden Christi. Nägel durchbohren blutig Hände und Füße, während das zentral platzierte Herz mit der Lanzenwunde von kreuzförmig sich ausbreitenden Strahlen hinterfangen ist. Diese Form der Herz-Jesu-Darstellung, obgleich im 14. und 15. Jahrhundert durchaus üblich, passt in keiner Weise weder zum genannten Fest noch zum Beginn der Antiphon, die der Taufe Christi im Jordan gedenkt.

Weitere Zierinitialen mit deckfarbener Ornamentik finden sich am Beginn des Commune Sanctorum (fol. 281r) sowie mitten im Formular zum Fest einer Jungfrau (fol. 310v). Wie schon bei der Herz-Jesu-Initiale lässt sich hier eine „etwas willkürlich anmutende Verteilung des Buchschmucks“ erkennen, was Elisabeth Hemfort zufolge ein Hinweis auf „das Fehlen eines Meisters“ sei, „der den gesamten Schmuck zu einer harmonischen Gesamtgestaltung ordnete“. Die Entstehungszeit des Kölner Codex 1181 bestätigt diese Vermutung: Auf dem Vorderdeckel geben vier in Messing gestanzte Ziffern 1539 als Jahr der Fertigstellung an. In Altenberg war bereits 1533 der Werkstattmeister Heinrich Kürten gestorben – ihm werden die meisten spätgotischen Illuminationen in Altenberger Handschriften zugeschrieben. Nach seinem Tod führten seine Schüler die Buchmalerei offenbar ohne rechten Plan weiter, bis ab 1540 ein neuer Meister übernahm und Renaissance-Elemente in die Malerei einführte.

Ob Cod. 1181 tatsächlich, wie Hemfort vermutet, für die Zisterzienserinnen von St. Apern hergestellt wurde, lässt sich allerdings nicht ohne weiteres belegen. Im Gegensatz zu anderen Codices aus diesem Kloster, die heute in der Diözesanbibliothek verwahrt werden, fehlen in dieser Handschrift entsprechende Besitzeinträge. Die Gedenktage des hl. Aper (15. September) und des Apostels Bartholomäus (28. August), der Klosterpatrone also, fallen in den Sommer und sind in diesem Antiphonar daher nicht erfasst; ein vorgeschaltetes Kalendar fehlt ohnehin. Unter den Heiligenfesten fällt allerdings ein langes, ganze zehn Blätter umfassendes Formular für den hl. Benedikt auf (21. März; fol. 261v bis 271r ), dessen Regel ja auch von den Zisterziensern befolgt wird. Im Hymnar bezieht sich ein Eintrag (fol. 337v) ebenfalls auf den hl. Benedikt. Ein eingelegter Druck mit Gebeten zum hl. Bernhard von Clairvaux (20. August), dem Hauptheiligen der Zisterzienser, über den Hemfort noch berichtet, fehlt heute in der Handschrift. Insgesamt können diese Indizien dennoch dafür sprechen, dass das Antiphonar Cod. 1181 für das fast vergessene Kloster in der Sankt-Apern-Straße geschrieben und ausgemalt wurde.