Zum Inhalt springen

Das besondere Kanonbild. Missale aus Hohenbusch, Cod. 1005

Handschrift des Monats April 2023
Datum:
1. Apr. 2023
Von:
Dr. Harald Horst
Dieses Messbuch aus dem Jahr 1436 illustriert den Beginn des Hochgebets ganz abweichend von den mittelalterlichen Sehgewohnheiten. Es war zudem bis ins 17. Jahrhundert in Gebrauch – allerdings für eher ungewöhnliche Zwecke.
Cod-1005_011v

Ein Missale (Messbuch) des hohen und späten Mittelalters lenkt in der Regel schnell die Aufmerksamkeit auf das sogenannte Kanonbild, eine meist ganzseitige, dramaturgisch aufgeladene Kreuzigungsdarstellung in leuchtenden Deckfarben am Beginn des Hochgebets der Messe. Dass es auch anders geht, zeigt dieses Exemplar: Statt einer Kreuzigungsszene mit Personen sehen wir lediglich die übergroße Darstellung des durchbohrten Herzens Jesu am Kreuzesstamm (fol. 11v). Die leicht naiv wirkende Zeichnung stellt zunächst das Leiden Jesu in den Vordergrund: Neben die vier weiteren, als rotes Rund dargestellten Wunden Jesu treten die Marterwerkzeuge wie Geißel, Dornenkrone und Lanze; auch Rock und Würfel illustrieren die Geschehnisse des Karfreitags. Am unteren Bildrand allerdings steht das leere Grab vom Ostersonntag als deutlicher Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Leid und Auferstehung.

Cod-1005_012r

Wie alle Kanonbilder will auch dieses den Zelebranten daran erinnern, dass mit den nun folgenden Worten des Hochgebets im theologischen Verständnis der Zeit das Kreuzesopfer Jesu vergegenwärtigt wird. Es ist dabei eine der ältesten Darstellungen, die das Herz Jesu als Symbol für seine liebevolle Hingabe ins Zentrum stellen. Der theologische Inhalt geht somit weit über das künstlerische Vermögen des Buchmalers hinaus. Auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 12r) greift ein anderer Künstler die Farben des von Grün, Rot und Braun dominierten Kanonbildes auf. Die T-Initiale zum Te igitur mit zwei Rosetten im Binnenfeld des rot-blauen Buchstabenkörpers, mit Palmettenranken innen und außen sowie mit Perlenreihen als Besatz auf Stäben, die in langen Fadenausläufern enden, ist jedoch weitaus komplexer und versierter gestaltet als die vorangehende Darstellung.

 

Cod-1005_018r

Das Missale selbst ist offenbar aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Die am häufigsten genutzten Abschnitte – ein Kalendarium, die Präfationen sowie das Hochgebet – wurden der besseren Haltbarkeit wegen auf Pergament geschrieben. Für die weiteren Teile benutzte man überwiegend Papier – vielleicht aus Sparsamkeit oder aufgrund Materialmangels. Dabei hält der mit 28 x 21 cm eher kleinformatige Codex Messformulare zunächst nur für die sommerliche Hälfte des Kirchenjahres bereit, also für die Zeit ab Ostern (fol. 18r). Gemäß einem Schreibervermerk auf fol. 62v wurde dieser Hauptteil am 11. Januar 1436 fertiggestellt.

 

Cod-1005_107r

Der Abschnitt mit den Eigenfesten der Heiligen des Sommerhalbjahres ab fol. 63r ist im gleichen Stil gestaltet, enthält allerdings einige Überarbeitungen von späteren Verwendern. Von gänzlich anderer Hand ist offenbar das Commune sanctorum, also der Teil mit den allgemeinen Formularen für Heiligenfeste (fol. 107r). Auch die Fleuronnée-Initialen in Rot und Schwarz erreichen nicht mehr die Qualität der vorderen Abschnitte. Die im Codex verzeichneten Heiligen lassen erkennen, dass das Messbuch wohl für ein Kloster unter der Augustinusregel im Bistum Lüttich geschrieben wurde. Später kam es in den Besitz des Kreuzherrenklosters Hohenbusch bei Erkelenz, wo es für dessen Gebrauch angepasst wurde.

 

Cod-1005_015r

In Hohenbusch wurden allerdings nicht nur Anpassungen vorgenommen. So finden sich am Rand und in einigen Initialen immer wieder nachgetragene Handlungsanweisungen für den Zelebranten, die bereits aus dem späten 15. Jahrhundert stammen (fol. 15r). Diese älteren Nachträge stehen im Canon missae, beim Pater noster und bei den Kommuniongebeten des Priesters (fol. 12r - 15v). Sie sind in Minium ausgeführt und sollen wohl die Rubriken ersetzen, die im Original fehlen.

 

Cod-1005_013r

Im 16. oder 17. Jahrhundert wurden sie durch weitere, noch ausführlichere Handlungsanweisungen in brauner Tinte ergänzt (fol. 13r). In dieser Zeit war das Kloster Hohenbusch zeitweise Noviziats- und Studienhaus für die belgisch-deutsche Provinz des Kreuzherrenordens. So drängt sich die Vermutung auf, dass diese Nachträge eigens für noch auszubildende oder unerfahrene Priester eingefügt wurden. Dieses alte handgeschriebene Messbuch, im Kloster längst durch aktualisierte und moderne Drucke ersetzt, könnte in dieser Zeit demnach als Grundlage für die praktische Ausbildung des Ordensnachwuchses gedient haben.