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Das Vermächtnis der Stiftsdame – Kölner Buchmalerei in einem Psalter für Laien (Cod. 1610)

Handschrift des Monats Juli 2024
Datum:
1. Juli 2024
Von:
Dr. Harald Horst
Zum Gebrauch bei der privaten Andacht wurde dieser Psalter um 1460 in Köln geschrieben und mit kostbaren Zierinitialen im Stil Stefan Lochners versehen. 140 Jahre später fand er eine neue Verwendung im Besitz einer westfälischen Stiftsdame – um auf verschlungenen Pfaden letztlich doch wieder nach Köln zurückzukehren.
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Es kommt eher selten vor, dass die Diözesanbibliothek ihren historisch gewachsenen Bestand an mittelalterlichen Handschriften durch einen Ankauf auf dem freien Markt noch ergänzen kann. Bei einer Auktion im Jahr 2018 interessierten sich anscheinend nur wenige Bieter für dieses Psalterium, so dass die Bibliothek es zu einem moderaten Preis erwerben konnte. Da die Handschrift vermutlich in Köln entstand und auch der Vorbesitz kölnischen Bezug aufweist, ergänzt es den hiesigen Bestand an spätmittelalterlichen Gebetbüchern ganz hervorragend (fol. 13r).

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Schon das Kalendarium (fol. 1r-12r) weist mit den fast ausschließlich in Köln gefeierten Festen der Reliquienübertragung der hl. Drei Könige (23.7.) und des hl. Pantaleon (28.7.) auf einen originär kölnischen Hintergrund (fol. 7r). Es folgt der vollständige lateinische Psalter, also die Psalmen in der biblischen Reihenfolge von 1 bis 150 (fol. 13r-169v). Zur Verwendung im persönlichen, der kirchlichen Stundenliturgie nachempfundenen Gebet wurde der Text durch Rubriken und Initialen in unterschiedlicher Ausschmückung strukturiert. So sollen die Psalmen 1 bis 108 zu den Nokturnen – den nächtlichen oder frühmorgendlichen Gebetszeiten – gelesen werden, während die Psalmen 109 bis 150 der abendlichen Vesper vorbehalten sind. Der lange Psalm 118 ist auf die sogenannten kleinen Horen Prim, Terz, Sext und Non aufgeteilt. Ergänzt werden die Psalmen durch die biblischen Cantica (Lobgesänge), eine Allerheiligenlitanei sowie Hymnen für verschiedene Feste (fol. 169v-199v). Antiphonen und Lesungen fehlen allerdings, so dass man tatsächlich von einer privaten Verwendung des Psalters, also außerhalb einer klösterlichen oder stiftischen Liturgie, ausgehen kann.

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Der Buchschmuck unterstreicht die Gliederung des Psalters für den täglichen Gebrauch. So stehen drei große Initialen in Deckfarben auf Goldgrund am Beginn der Nokturnen vom Sonntag (fol. 13r) und den Wochentagen (fol. 38r) sowie bei der Sonntagsvesper (fol. 134r). Die Kunsthistorikerin Ines Dickmann erläutert, dass „alle drei Initialen auf quadratischen Feldern aus poliertem Blattgold stehen; die in dunklem Blau angelegten Buchstabenkörper sind mit fein modellierten Akanthusranken gefüllt. In die Binnenfelder der Buchstaben sind recht komplizierte Blütengebilde integriert, die sich teilweise in den Bordüren wiederholen.“ Insbesondere in dieser Gestaltung der Randbordüren sieht Dickmann einen Hinweis auf den Kölner Ursprung der Buchmalerei. Charakteristisch seien „die feinen goldenen Grundlinien, die häufig in goldene Rispen auslaufen und in die einzelne Zier- und Blütenmotive eingebunden sind“, außerdem „die etwas kunstvoller gedrehten und entwickelten Stempelfortsätze“, die auf fol. 38r gut zu sehen sind, oder die „topfartig gestalteten Blüten“ auf fol. 13r. Unverkennbares Indiz für die kölnische Herkunft der Malerei seien zudem „die verzierten Kugeln, die sogenannten Kölner Christbaumkugeln, die vielfach in die Bordüren eingestreut sind.“

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Der Dekor dieses Psalters lässt sich somit in den sogenannten Kölner Goldrispenstil einordnen, der bestimmt ist von goldenen Grundlinien und Rispen in den Bordüren sowie einem „Farbklang aus Gold, zarten Rosatönen und kräftigem Blau“ in den Zier- und Einzelmotiven (fol. 134r). Die Entwicklung dieses Stils wird auf den für Köln prägenden Stefan Lochner (ca. 1400-1451) zurückgeführt und bestimmt die Kölner Buchmalerei bis in das 16. Jahrhundert hinein, wobei sich selbstverständlich große Qualitätsunterschiede beobachten lassen. Der Gestalter des Psalters Cod. 1610 war mit dem Kölner Formenrepertoire jedoch bestens vertraut, so dass er dessen Grundformen in qualitätvoller Weise variieren und mit neuen Ideen und Farbklängen bereichern konnte. 

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Die Datierung des Buchschmucks und mithin des gesamten Psalters auf die Zeit um 1460 ist allerdings schwieriger abzuleiten. Dickmann orientiert sich hierfür überwiegend an Vergleichsobjekten wie der sogenannten Arenberg-Bibel im Getty-Museum Los Angeles und an nachträglich illuminierten Bibeldrucken aus der Offizin von Fust und Schöffer. Die weiteren Zierinitialen – meist sind es dreizeilige Lombarden in Blau oder Rot mit Federschmuck in der Konträrfarbe – sind zwar hübsch anzusehen, tragen aufgrund ihrer weiten Verbreitung jedoch nicht zur Datierung der Handschrift bei (fol. 169v).

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Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kam die Psalter-Handschrift in den Besitz einer Maria Plettenberg, die sie offensichtlich um ergänzende Blätter mit Gebeten für Verstorbene ergänzen (fol. 200r-224r), vor allem aber neu binden ließ. Der heute noch vorhandene dunkelrote Ledereinband über Holzdeckeln trägt zwei markante Plattenstempel: vorne eine Kreuzigungsszene, hinten eine Darstellung der Auferstehung Christi. Die Stempel sind gerahmt vom Namenszug „Maria Plettenberg“ bzw. der Datumsangabe „Anno 1598“. Die Familie Plettenberg hatte ihren Stammsitz im kurkölnischen Sauerland, verzweigte sich jedoch rasch und siedelte im Münsterland, am Niederrhein, im Bergischen und in Köln. Vertreter dieser Familie nahmen häufig bedeutende Ämter in Diensten der Kölner Erzbischöfe ein, etwa als Marschall von Westfalen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ist eine Maria von Plettenberg als „Nonne zu Heinsberg“ nachweisbar (gemeint ist wohl das prämonstratensische Marienstift). Die Anlage des Psalters würde aber besser zu einer Stiftsdame gleichen Namens passen, die 1568 geboren wurde und 1589 bis 1635 als Mitglied des freiweltlichen Kanonissenstifts Freckenhorst im Münsterland verzeichnet ist; möglicherweise war er also zu dieser Zeit in ihrem Besitz. Über die weitere Geschichte des Büchleins lässt sich fast nur spekulieren. Neben den Eintragungen der Auktionshäuser Sotheby’s und Reiss & Sohn findet sich im Vorderdeckel auch das Exlibris des bekannten Kölner Bibliophilen Hanns-Theo Schmitz-Otto, der es offenbar nach langer Zeit wieder nach Köln geholt hat.

Digitalisate der Handschrift und weitergehende Informationen können jederzeit über die Digitalen Sammlungen der Diözesanbibliothek abgerufen werden: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-16654.

Der Beitrag von Ines Dickmann, Der Plettenberg-Psalter – eine Kölner Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Analecta Coloniensia 17/18 (2017/18), Seite 161-191, steht hier zur Einsicht oder zum Download zur Verfügung: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-1-17348.

 

Abbildungen:

Cod. 1610, fol. 13r: Zierinitiale "B(eatus vir)" zu Beginn von Psalm 1

Cod. 1610, fol. 7r: Kölner Heiligenfeste im Kalendar

Cod. 1610, fol. 38r: Zierinitiale "D(ominus)" zu Beginn von Psalm 26

Cod. 1610, fol. 134r: Zierinitiale „D(ixit dominus)“ zu Beginn von Psalm 109

Cod. 1610, fol. 169v: Einfache Zierinitiale „C(onfitebor)“ am Beginn der Cantica  

Cod. 1610, Vorderdeckel: Plattenstempel mit Kreuzigungsszene

 

Ansprechpartner:

Herr Dr. Harald Horst
Telefon: 0049 221 1642 3796 

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