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Auch ein professioneller Buchmaler macht mal Fehler – Beobachtungen an einem spätmittelalterlichen Codex (Cod. 1030)

Handschrift des Monats Oktober 2024
Datum:
1. Okt. 2024
Von:
Amelie Paulsen B.A.
Im 15. Jahrhundert fertigten die Fraterherren am Weidenbach in Köln diese mit reich verzierten und farbenfrohen Initialen versehene Handschrift für den eigenen Gebrauch an. Sie enthält die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea, verrät jedoch auch vieles über die Herstellung und Verwendung von Codices im ausgehenden Mittelalter.
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Der Codex 1030 besteht aus zwei Teilen: einer Handschrift auf 107 Blättern, die eine heute unvollständige Abschrift der Historia ecclesiastica des Eusebius von Caesarea († 339) enthält, sowie einer Inkunabel, die 1473 von Ulrich Zell in Köln gedruckt wurde und ein anderes Werk des Eusebius, nämlich De evangelia praeparatione, auf 152 Blättern beinhaltet. Die Handschrift stammt wie der Druck aus dem 15. Jahrhundert und wurde mit diesem noch im selben Jahrhundert zusammengebunden. Heute ist sie unvollständig, besonders am Ende fehlen einige Kapitel des neunten und zehnten Buches. In der Mitte des Codex klafft eine große Lücke, wo die Bünde durchgeschnitten und mehrere Lagen entfernt wurden. Der Codex besteht zum überwiegenden Teil aus Papier, jedoch ist im Handschriftenteil jeweils das äußere Blatt einer Lage aus Pergament – eine häufige Praxis im 15. Jahrhundert, die dazu diente, die Lagen aus Papier durch das Pergament zu stabilisieren. Ein weiterer Vorteil: Mit Gold verzierte Initialen, wie sie auch in dieser Handschrift vorkommen (z.B. fol. 2r), lassen sich nur auf Pergament aufbringen, nicht aber auf Papier, was die Buchmaler auszunutzen wussten. 

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Der Codex enthält ein zentrales Werk der christlichen Chronistik von einem der frühen Kirchenväter. Eusebius von Caesarea erlebte noch die Verfolgung der frühen Christen, die erst durch die Konstantinische Wende ab 313 endgültig beendet wurde. Als Bischof von Caesarea (ebenfalls ab 313) war er deshalb auch für die Reorganisation und Erhaltung kirchlicher Strukturen verantwortlich, die durch die Christenverfolgung, der auch sein Lehrer Pamphilos zum Opfer fiel, geschädigt waren. Kaiser Konstantin kannte er persönlich und lobte ihn für seine Toleranzpolitik gegenüber dem Christentum, die langfristig zu dessen Durchsetzung als Staatsreligion des Römischen Reiches im Jahre 380 führte. Eusebius' Werk fasst die Geschichte der Kirche zunächst bis ins Jahr 240 zusammen (Buch 1-7) und führt dann weiter zur „Großen Verfolgung“ der Christen zwischen 303 und 313 (Buch 8-9) und endet mit dem Stand der Kirche zu Eusebius‘ Lebzeiten (Buch 10). Er selbst schrieb seine Werke auf Griechisch; die Kirchengeschichte wurde erst durch Rufinus von Aquileia zusammen mit Eusebius‘ Chronik ins Lateinische übersetzt, wodurch sie der Christenheit Westeuropas zugänglich wurden. (fol. 1v)

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Das vorliegende Exemplar gehörte den Kölner Fraterherren am Weidenbach, worauf ein Bibliotheksvermerk auf dem Vorsatzblatt hinweist. Zusätzlich sind Reste eines Signaturschildes außen auf dem vorderen Buchdeckel erhalten und die Signatur wird auch auf der ersten Seite wiederholt. Eine Auflistung von Eusebius‘ Werken links daneben deutet darauf hin, dass der Codex ursprünglich eine Sammlung seiner erhaltenen Werke enthielt, die die Mönche für ihre Bibliothek schufen. Die Fraterherren, deren Niederlassung am Weidenbach gegenüber von Sankt Pantaleon seit 1416 bestand, hatten das einzige Skriptorium in Köln, das eine „regelrechte Lohnschreiberei“ (Hemfort 2001, S. 25) betrieb und v.a. in der Liturgie benötigte Codices im 15. und 16. Jahrhundert noch von Hand anfertigte. Dabei arbeiteten die Fraterherren nicht nur für Kölner Kirchen, sondern schufen auch hochwertige Prachthandschriften für Auftraggeber in der Region, etwa für die Pfarrkirche St. Martin in Euskirchen oder das Frauenstift in Essen. Bekannt sind die Fraterherren am Weidenbach nicht zuletzt durch ihre gut dokumentierten Arbeitsabläufe, die in den erhaltenen Statuten genau beschrieben sind. Auch einige Verträge mit Auftraggebern sind überliefert. Der Höhepunkt der Handschriftenproduktion lag jedoch lange nach der Herstellung des vorliegenden Codex, nämlich erst im 2. Viertel des 16. Jahrhunderts, als Köln bereits über viele Drucker verfügte. Die Fraterherren bedienten zu dieser Zeit eine Nische im Markt, indem sie nach wie vor liturgische Prachthandschriften herstellten. Die Buchmalereien stammten dabei nicht immer aus dem Kloster selbst, sondern wurden von externen Buchmalern und z.T. Wandermalern hergestellt. Für die vorliegende Handschrift gilt dies jedoch nicht: Den Federstrichzeichnungen in den erhaltenen Handschriften des Klosters nach zu urteilen, fertigten die Fraterherren bis zur Jahrhundertwende noch selbst den Buchschmuck an. 

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Dabei sind am Codex selbst noch Spuren von dessen Herstellung zu erkennen. Der Buchschmuck besteht zu Beginn von jedem Buch aus 9-zeiligen Fleuronnée-Initialen, die auf den Pergamentblättern aus Gold, Blau und Grün sowie roten und violetten Federstrichen gefertigt wurden. Auf Papierblättern fehlt die Goldapplikation, die nur auf Pergament halten kann. Dazu finden sich abwechselnd rote und blaue Lombarden zu Beginn jedes Kapitels, rote und blaue Satzinitialen und Alinea-Zeichen im Text sowie rote Strichelung. Incipit und Explicit sind ebenfalls rubriziert, wobei sich an manchen Stellen entsprechende Notizen für den Rubrikator am Seitenende erhalten haben (z.B. fol. 13v). Hinweise an den Rubrikator in Form vorgeschriebener Lombarden finden sich ebenfalls (z.B. fol. 88r) – für gewöhnlich wurden diese übermalt oder entfernt. Es zeigt sich zudem, dass auch ein erfahrener Buchmaler durchaus einmal Fehler machen kann: So finden sich an einigen Stellen wohl von einem Korrektor eingefügte, in rotem Farbstift nachgezeichnete Lombarden, die jedoch nie ausgeführt wurden (z.B. fol. 3v). Im gleichen Rotstift finden sich auch andere Korrekturen und Markierungen am Seitenrand (z.B. fol. 16r), aber auch eine Angabe des aktuellen Buches in der oberen rechten Ecke der Recto-Seite.

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Weitere Anmerkungen oder Korrekturen verschiedener Hände deuten auf die Verwendung der Handschrift in späterer Zeit hin. Sie sind in Tinte und einer kursiven Schrift eingetragen, die sich von der Hybrida des Haupttextes unterscheidet. Sie enthalten teilweise Wortkorrekturen am Haupttext, z.B. wenn ein Wort falsch geschrieben wurde oder schlecht lesbar war, teilweise aber auch Kommentare am Rand oder unterhalb des Textes. Gegen Ende des heute erhaltenen Teils finden sich auch die für das Spätmittelalter charakteristischen Zeigehände (z.B. fol. 89v), die einen bestimmten Abschnitt hervorheben sollen. Zudem sind Nota-Markierungen am Rand erkennbar (z.B. fol. 90r). 

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Der Codex in seiner heutigen Form ist unvollständig, wie schon die offensichtliche Lücke in der Mitte zeigt. Eine genauere Betrachtung und die Aufstellung einer Lagenformel haben ergeben, dass noch mehr Teile fehlen als ursprünglich angenommen: Am Ende der siebten Lage fehlt das letzte Blatt, das vermutlich aus Pergament bestand, das erste zu Beginn der Lage ist jedoch erhalten. Auch bei den folgenden beiden Lagen fehlen die äußeren Pergamentblätter, die letzte vorhandene Lage besteht schließlich nur noch aus fünf einzelnen Papierblättern. Die fehlenden Stellen befinden sich zwischen fol. 83v und 84r (Buch 9, Ende von Kap. 6 bis Beginn von Kap. 11), fol. 93v und 94r (Beginn von Buch 10) sowie 103v und 104r und nach fol. 108r, der letzten Seite der Handschrift, wo Buch 10 abbricht. Warum diese Teile des Codex fehlen, ist ungewiss. Für die Pergamentblätter könnte man annehmen, dass die darauf befindlichen, mit Gold geschmückten Initialen von Interesse waren – so fehlt der Beginn von Buch 10 zwischen fol. 93v und 94r, der höchstwahrscheinlich mit einer solchen Initiale begann. Es finden sich zudem an einigen Stellen Hinweise, dass das Pergament blattweise herausgeschnitten wurde: So sind auf fol. 84r in der Falz des Buches und auf fol. 94r am unteren Teil Schnittspuren erkennbar, während zwischen fol. 93v und 94r Reste eines Blattes übrigblieben. Derartige Pergamentblätter finden sich manchmal als Makulatur in späteren Bucheinbänden wieder. 

Text: Amelie Paulsen, Köln

Digitalisate der Handschrift und weitergehende Informationen können jederzeit über die Digitalen Sammlungen der Diözesanbibliothek abgerufen werden: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2454.

Die Buchproduktion der Fraterherren behandelt u.a. Elisabeth Hemfort, Monastische Buchkunst zwischen Mittelalter und Renaissance, Bergisch Gladbach 2001.

 

Abbildungen:

Cod. 1030, fol. 2r: Fleuronnée-Initiale zu Beginn der Historia Ecclesiastica

Cod. 1030, fol. 1v: Notiz über Eusebius von Caesarea

Cod. 1030, Vorderer Spiegel + fol. 87v: Besitzvermerk der Kölner Fraterherren am Weidenbach und Fleuronnée-Initiale mit Federstrichverzierungen

Cod. 1030, fol. 3v: Nachzeichnung einer fehlenden Lombarde mit rotem Farbstift

Cod. 1030, fol. 89v: Zeigehand  

Cod. 1030, fol. 94r: Schnittspuren an der unteren Seite des Blattes

 

Ansprechpartner:

Herr Dr. Harald Horst
Telefon: 0049 221 1642 3796 

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